ars poetica (9)

Erhart Kästner:

… Lyrik ist Lebenskampf, alle Kunst ist nichts anderes, natürlich. Gedicht, das ist Kampf um eine Wirklichkeit, um die Gewinnung von Wirklichkeit: jedes Bild eine Breite gewonnener Heimat, jedes Gedicht eine Hufe zurückgewonnenen Lands, jeder Satz, der diesen Namen verdient, eine erschlossene, wiedererschlossene Fremde.

… Wer schreibt, kann nicht wissen, welche Bilder er in Seelen erzeugt; aber Bilder, wie immer geartete Bilder muss er, muss er erzwingen. Welche es sind, und dass es wohl immer andere sind, das kann er bloß ahnen, darüber hat er nicht Macht. Das muss er schon dem Geschriebenen überlassen.

… Offenbar haben sich einige dieser Gedichte von ihrem Dichter gelöst, sind abgeschwebt, ziehen auf eigene Bahn, arbeiten, erleben auf eigene Faust, und einige sind ganz weggelaufen und haben sich trotzig selbständig gemacht. (…) Dafür sind sie ja Boten. Irdische? himmlische? wie immer: ein bisschen Freiheit muss man den Boten bei ihrer Ausrichtung auch lassen.

Aus Erhart Kästner: „Was die Seele braucht“, Insel Taschenbuch 2268, Seiten 159-161