ARS POETICA

Aus Josef Kettls Zitatenschatz

Berühmte Schriftsteller haben in Erzählungen, Essays oder Romanen ihre Erkenntnisse über die Dichtung kundgetan, sie lassen uns damit an ihren Erfahrungen teilhaben. Stelzhamerpreisträger Josef Kettl, selbst poetisch veranlagter, aufmerksamer Leser großer Werke, wählt bedeutende Zitate für die Rubrik „ars poetica“ – über die Kunst des Dichtens – aus, die seit Juli 2011 im wortgarten erscheint und auf dieser Homepage des Stelzhamerbundes nachzulesen ist.

Jüngstes Beispiel: Marie Luise Kaschnitz (1901 – 1974) wuchs als Tochter eines Offiziers in Potsdam und Berlin auf. Sie besuchte eine höhere Mädchenschule, wurde Buchhändlerin in Weimar, München und Rom. Nach dem Tod ihres Mannes lebte sie in Frankfurt am Main. Sie schrieb Gedichte, Romane, Erzählungen und zahlreiche Hörspiele. 1955 wurde sie mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet.

Eines ihrer Gedichte trägt die farblose Überschrift „Ein Gedicht“. Die Wiederholung am Beginn der Verse präzisiert den Stoff, aus dem das Gedicht „gemacht“ ist: nämlich aus Worten, dem flüchtigen und doch griffigen Stoff der „Macher“, wie die Griechen die Dichter nannten. „Ein Gedicht“ steht in der Sammlung „Dein Schweigen – meine Stimme“. Darin stellt die Autorin fest, wie ihr Gedicht entsteht: „Zeile für Zeile“.  > Mehr

Bisherige Folgen: Rainer Maria Rilke – Ulrich Greiner – Hermann Hesse – Adalbert Stifter – Hugo von Hofmannsthal – Erika Mitterer – Tomas Gösta Tranströmer – Kuno Raeber – Erhart Kästner

[1] Rainer Maria Rilke (1875–1926) formulierte seine Erkenntnisse über das Schreiben der Verse in seinem einzigen Roman „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“, erschienen im Jahre 1910:

„Ach, aber mit Versen ist so wenig getan, wenn man sie früh schreibt. Man sollte warten damit und Sinn und Süßigkeit sammeln ein ganzes Leben lang und ein langes womöglich, und dann, ganz zum Schluß, vielleicht könnte man dann zehn Zeilen schreiben, die gut sind. …  Mehr

[2] Welch Glück für eine große Zeitung, einen Schriftsteller als Literaturredakteur zu haben! Für die seit 1946 in Hamburg erscheinende, überregionale deutsche Wochenzeitung DIE ZEIT war Ulrich Greiner 1998 bis 2009 verantwortlicher Redakteur des Ressorts Literatur. Seither ist er Kulturreporter und Herausgeber des Magazins ZEITLiteratur. Greiner, Jahrgang 1945, lehrte als Gastprofessor an Universitäten Deutschlands und der USA, er ist Mitglied des P.E.N.-Zentrums Deutschland und Präsident der Freien Akademie der Künste in Hamburg. Seine Gedanken über die Kunst des Dichtens:

“Das Gedicht aber ist ein besonderer Fall. Erstens deshalb, weil es eine gewaltige Zahl von Autoren gibt, die mehr oder weniger unbemerkt Gedichte schreiben – wobei ich vermute, dass sich jeder intelligente, schreibfähige Mensch irgendwann einmal in seinem Leben an Gedichten versucht hat. Und zweitens, weil…  Mehr

[3] Soll ein Gedicht vor allem „schön“ sein? Große Dichter verwahren sich gegen diesen Anspruch, so auch der Schriftsteller und Maler Hermann Hesse. Er wurde 1877 als Sohn einer christlichen Missionarsfamilie in Calw (Württemberg) geboren und starb 1962 in Montagnola (Tessin). 1946 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Wiederkehrendes Thema seiner bekanntesten Werke (Der Steppenwolf, Siddharta, Narziß und Goldmund, Das Glasperlenspiel) ist die  Selbstverwirklichung des Einzelnen. In seinem Essay „Über Gedichte“ schreibt Hermann Hesse:

„Das Amt des Dichters ist nicht das Zeigen der Wege, sondern vor allem das Wecken der Sehnsucht. … Ein Gedicht ist in seinem Entstehen etwas ganz Eindeutiges. Es ist eine Entladung, ein Ruf, ein Schrei, ein Seufzer, eine Gebärde, eine Reaktion der erlebenden Seele, mit der sie…  Mehr

[4] Die eindrucksvolle Bescheidenheit eines ganz Großen offenbart sich in den folgenden Zitaten aus dem Werk von Adalbert Stifter (1805-1868). Der Sohn einer Leinenweberfamilie wurde in Oberplan (heute Horní Planá am Moldau-Stausee in Südböhmen) geboren, besuchte das Stiftsgymnasium Kremsmünster, belegte an der Universität Wien Vorlesungen über Jus, Mathematik, Naturwissenschaften, Kunstgeschichte, wurde schließlich Maler und Schriftsteller und auch oö. Landesschulinspektor.
In der Vorrede zu „Bunte Steine“, seiner 1853  erschienenen Sammlung von Erzählungen, schreibt Stifter:

“Die Kunst ist mir ein so Hohes und Erhabenes, sie ist mir … nach der Religion das Höchste auf Erden, so dass ich meine Schriften nie für Dichtungen gehalten habe, noch mich je vermessen werde, sie für Dichtungen zu halten. Dichter gibt es sehr wenige auf der Welt, sie sind die Hohenpriester…  Mehr

[5] Der Lyriker und Dramatiker Hugo von Hofmannsthal (1.2.1874 – 15.7.1929) zählt zu den bedeutendsten Vertretern des österreichischen Impressionismus und Symbolismus. Neben bedeutenden Dramen schrieb Hugo von Hofmannsthal auch Prosadichtungen. Erfolgreich war die Zusammenarbeit mit dem Komponisten Richard Strauss. Der Schriftsteller war auch Mitbegründer der „Salzburger Festspiele“.

In seinem Aufsatz über Poesie und Leben schrieb er:

“Es führt von der Poesie kein direkter Weg ins Leben, aus dem Leben keiner in die Poesie. … Mehr

[6] Die Lyrikerin und Dramatikerin Erika Mitterer (30.3.1906 – 14.10.2001) hat sich auch als Epikerin mit den sozialen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen ihrer Zeit auseinandergesetzt. Sie gilt als die wichtigste Vertreterin der Literatur der inneren Emigration. In ihren Werken leistete sie als eine der ersten österreichischen Schriftstellerinnen  „Vergangenheitsbewältigung“.
Erika Mitterer wurde im Wiener Vorort Hietzing geboren. Sie absolvierte die Lehrerbildungsanstalt, fasste dann jedoch den Entschluss, den Sozialberuf einer Fürsorgerin zu ergreifen. Im April 1924 begann ihr Briefwechsel in Gedichten mit Rainer Maria Rilke, den sie auch im darauf folgenden Jahr im Schloss Muzot (Wallis, Schweiz) besuchte. In ihrem Gedicht: „Gesang vom Vergessen“ schreibt sie in den Schlussstrophen:

 ”Worte werden vergessen, Blicke und zarte Berührungen,
und in der Trennung sind wir versteinert. Die Hoffnung
neuer Vereinung erlischt beim prüfenden Blick in den Spiegel…  Weiter

[7 ] Bedeutendster schwedischer Lyriker der Gegenwart ist Tomas Gösta Tranströmer (geboren 1931 in Stockholm), der 2011 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. Sein Gesamtwerk umfasst zwölf Gedichtbände mit einem Gesamtvolumen von weniger als 500 Seiten. Kennzeichen seiner Lyrik ist die höchstmögliche Verdichtung von Sprachbildern, die mit sehr wenigen Wörtern auskommt. Wirken will Tranströmer allein durch die Vielfalt der Assoziationen und Balancierungen. Mit der Selbstdisziplinierung durch Verknappung und Lakonie der Rede gelangte er schon seit den 1950ern zu den strengen Formvorschriften des japanischen Haiku-Gedichts, einer Gedichtform, in der nicht die Wörter, sondern die Silben die Bausteine sind.
Was und wie er schreibt, erschließt sich nicht bei der ersten Lektüre. Nur wer sich in sie vertieft, die vielen Assoziationen aufsaugt und in sich wirken lässt, findet den Zugang zu Tomas Tranströmer. Zwei Beispiele aus seinem Schaffen: … Weiter

[8] Der Schweizer Schriftsteller Kuno Raeber (1922 – 1992) wälzte tief schürfende Gedanken über die Kunst. Er wuchs in Luzern auf, studierte Philosophie, Geschichte und Literatur und promovierte 1950. Kuno Raeber war Direktor der Schweizer Schule in Rom, ehe er ab 1958 als freier Schriftsteller leben konnte. Er hatte seinen Wohnsitz in München, lebte zeitweise in Rom und starb 1992 während eines Besuchs in Basel.

Als Literat widmete sich Raeber vornehmlich der Lyrik, schrieb auch alemannische Dialektgedichte und Verse voller Sinn und Deutungsbilder.  Weiter

[9] „Am Schluss ist das Leben nur eine Summe aus wenigen Stunden, auf die man zulebte. Sie sind; alles andere ist nur ein langes Warten gewesen.“

Erhart Kästner (1904-1974) war ein Autor, der abseits von allem Lauten und Betriebsamen die verborgensten Seiten unserer von Verschüttung bedrohten Seele wieder zum Klingen bringt.
Er absolvierte eine Buchhändlerlehre, studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie und schloss das Studium mit der Promotion ab. Während des 2. Weltkrieges war er in Griechenland stationiert (und wurde später für seine Griechenlandbücher bekannt). Nach dem Krieg leitete er als Direktor die Bibliothek in Wolfenbüttel (Niedersachsen).
Erhart Kästner galt als einer der „leisen“ Schriftsteller der deutschen Nachkriegsära. Seine stilistisch geschliffenen Prosawerke passten bei ihrem Erscheinen in den fünfziger und sechziger Jahren gut zum allgemeinen Wunsch nach Verdrängung.

Zur Überreichung des Bremer Literatur-Preises an Paul Celan im Jänner 1958 hielt Erhart Kästner die in kurzen Auszügen folgende Rede: Weiter