4. Platz: Martin Springer, Vor fünfazwoanzg Jahr

Vor fünfazwoanzg Jahr

Seit s´ en Ausreiseantrag gstöllt hat, is s´ iwawacht wordn. Grad án Ausreiseantrag hat s´ gstöllt und was hat s´ davon ghat? Nix wia Gscher mit dá STASI.

Und wegn was?

Is ´s a Vabrecha, wann ma mit da Tochter za ihrn Vatern wüll.

Is ´s a Vabrecha, wann ma za an Mann wüll, den ma gern hat. Valiabt warn s´, mehr: Valiabt und vatraut, vabundn.

Heiratn wollten s´, da Ahmend und sie und a oafachs Lebm führn in da DDR.

Owa wia er fertig war mitn Technikstudium in Dresdn, hat er zruck müassn nach Jordanien, zruck in sei Hoamatland, des was eahm ´s Studium finanziert hat.

Dann is s´ mit da gemeinsamen Tochter alloan dagstandn. Dagstandn, sie mit ihrer kloan Petra.

Zan Glick, hat s´ d´Ulrike ghat, ihr Schwester. Mitanand habm se sih um des Maderl kümmert. Leicht habm s´es a so scho net ghat und haitzt san s´ ah nuh bespitzlt wordn und peinigt va da Staatspolizei.

Drei Jahr lang habm s´es drangsaliert, sie und ihr Schwester. Dann war eahna kloa, was s´ toan wolln, toa müassn.

A dreiviertl Jahr lang habm se sih vorbereit, habm olls minutiös durchplant.

In an kloan Schlauchboot ruaderns hoamlih dahin.

Plötzlich Scheinwerfer, Sirenen und Scheinwerfer.

Sie flüstert: „Fahrts an! Am Sunnda um zwöfe vorm Stephansdom,“ und springt ins kalte Wasser.

Schnurstracks schwimmt s´ aufn Liachtkegö zua. Sie woaß, dass s´ de Wachn van Fluchtboot ablenkn muass, sunst san s´ olle drei valorn. Olle drei!

Sie stellt sih bewusstlos, des rett ihr ´s Lebm.

Handschölln, Brutalität und Verhör, Einzlhaft!

Verhör um Verhör, Brutalität und Einzlhaft.

 

Ihr Behauptung: „Sie ist ins Wasser gfalln und is va da Strömung danitriebm wordn.“

Olls hätt s´ eah dazöhln kinna, owa des habm s´ ihr net glaubt.

Dann hat s´ es doh zuagebm. Nach Wean wolltns zan da Tafgodn va da Muatta und dann weida nach Jordanien.

Wia s´ drafkemma san, dass ihr Schwester und ihr Tochter abgengan, war sowiaso olls klar.

Sie hat va vornherein gwisst, was a Volksvaräterin erwart: Tortur, Grausamkeit, Marter und olls bsundane Straf für sie: Koa Kontakt nach draußn!

Eingsperrt, fünf Jahr habm s´ ihr afbrummt; wegn was?

 

Dann ´s Jahr 1989:

D´Mauer iwawundn, zrissn da Stachöldraht, gfalln da Eiserne Vorhang.

Inhaftierte san net gleih freikemma. Owa wia klar wordn is, dass sie a politische Gefangene is, war sie wieder a freier Mensch; rehabilitiert und frei. Frei!

Ba da Enthaftung hat s´ an Binkö Briaf va da Petra und va da Ulli ausghändigt kriagt.

Sie hat sih net Zeit gnumma zan lesn, weil s´ neta nuh oa Zül ghabt hat: Wean!

Wia s´ in Zug gsessn ist, hat s´ olle Briaf afgmacht, oan nach den onan. Und glesn, gfressn hat s´es, vaschlunga. Ollweil wieder va vorn angfangt und van Anfang bis zan End hat s´ hoamli in sih einigflennt, des hat s´ glernt en Gfängnis.

 

Es is ihr ersta Sunnda in Freiheit und sie geht van Westbahnhof zan Stephansplatz. Na sie geht net. Sie treibt, vibriert. Es is a Wechslspül zwischn Schwankn, Stolpern und Schwebn.

Endling dort, schaut s´ wia hypnotisiert af oan Fleck und fangt zan Woana an.

Des siagt a Fiaker und fragt s´ tröstend, was s´ denn leicht hat.

Sie steht da wia angwachsn und kann grad mitn Kopf in oa Richtung deutn.

Da schaut da Fiaker in de selbe Richtung und sagt:

„De zwa stengan seit dreiahalb Jahr jedn Sunnda um zwöfe da.“

 

 

 

 

 

 

rita